Erbengemeinschaft ist ein Reizwort bei Nachlassverfahren. Zwar beteuern Anwälte und Notare, wunderbare, friedliche und konstruktive Erbengemeinschaften zu kennen. Auf diese Ehrenerklärung folgt sehr schnell eine Mängelliste. In Erbengemeinschaften werden oft alte Familienstreitigkeiten quick lebendig, es herrschen Missgunst und Misstrauen wie in einem Kalten Krieg. Oder ganz simpel, die Interessen der Erben sind so unterschiedlich, dass sie keine Lösung finden, um den gemeinsamen Nachlass auf versöhnlichem Weg zu regeln.
Es handelt sich nämlich nicht um eine Schar Gleichgesinnter, die sich aus freien Stücken zusammengeschlossen haben. Es ist eine gesetzlich vorgeschriebene Interessengemeinschaft verschiedener Erben.
Die Münchner Kanzlei Acconsis mit den Rechtsanwälten Sabine Schleinkofer und Leon Feyler hatte Ende Juni zu einer virtuellen Informationsveranstaltung zum Thema „Pulverfass Erbengemeinschaft“ ?! eingeladen, um die Fallstricke dieser Konstruktion mit einem größeren Teilnehmerkreis zu diskutieren.
Beispiel Immobilienverkauf
Das Charakteristische dieser Zweckgemeinschaft lässt sich in drei Worte fassen: Allen gehört alles: Die geerbte Immobilie, die geerbten Wertpapiere, das geerbte Auto…allen alles.
Als Konsequenz kann kein Erbe ohne die Zustimmung der Miterben handeln wie er gerne möchte. Nur der gemeinsame Beschluss führt zu Lösungen, zum Beispiel, um ein Haus aus dem Nachlass zu verkaufen. Bei solchen wichtigen Entscheidungen ist Einstimmigkeit erforderlich. Jede Stimme hat dasselbe Gewicht, unabhängig davon, ob ein Erbe einen großen oder kleinen Anteil am Nachlass erhielt.
Nur bei weniger wichtigen Themen, wie zum Beispiel bei der Neuvermietung einer Wohnung des Erblassers, ist ein Beschluss mit Stimmenmehrheit ausreichend. In dieser Situation richtet sich das Gewicht der Stimme nach der Höhe des Erbteils.
Wenn ein Erbe die Erbengemeinschaft möglichst schnell verlassen möchte, kann er seinen Erbteil zum Verkauf stellen. Die übrigen Erben haben ein Vorkaufsrecht.
Beispiel: Vier Erben gehören jeweils ein Viertel eines Hauses. Ein Erbe möchte sein Viertel verkaufen, ein anderer Erbe möchte das Viertel übernehmen. Die zwei weiteren Erben gönnen ihm das nicht. Sie sagen nein zu dem Deal und willigen ein in den Verkauf der Immobilie an einen familienfremden Interessenten. Diesmal verweigert der Erbe, der gerne das Viertel dazugekauft hätte, seine Zustimmung und verzögert damit die Angelegenheit. Eine Pattsituation. Er kann den Verkauf nur hinauszögern, nicht verhindern. Oft ist es jedoch gar nicht einfach einen Käufer zu finden, der die Situation akzeptiert, einer von vier Eigentümern zu werden.
Auch eine solche Wendung ist möglich: Einer der vier Erben möchte seinen Anteil an der Erbmasse in Höhe von ¼ verkaufen. Dann können die drei Miterben beschließen: Wir kaufen Dir deinen Erbteil ab und erhöhen so unsere jeweilige Quote am Nachlass von ¼ auf jeweils 1/3. Dazu ist ein notarieller Vertrag notwendig.
Möglichkeit: Erbteilungsklage oder Teilungsversteigerung
Möchte ein Erbe mit Hilfe einer Erbteilungsklage seine Vorstellungen durchsetzen, sollte er sich nach Meinung der Acconsis-Juristen diesen Schritt gründlich überlegen. Die Kosten sind hoch und es kann lange dauern bis es zu einer Entscheidung kommt. Rechtsanwalt Leon Feyler: „Kein Anwalt kann mit gutem Gewissen zu diesem Schritt raten, zunächst sollten alle denkbaren Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.“
Eine andere Möglichkeit, um zumindest die Teilung von Immobilien zu erzwingen, ist ein Antrag auf Teilungsversteigerung. Sie kann von jedem Mitglied der Erbengemeinschaft durchgesetzt werden, um aus einer Pattsituation herauszukommen. Der Erlös dieser öffentlichen Versteigerung wird (minus Kosten) auf die Erben gemäß ihrer Quote aufgeteilt. Eine solche Teilungsversteigerung kann eine willkommene Lösung für eine zerstrittene Erbengemeinschaft sein. Ideal ist dieser Ausweg meistens nicht. Bei einer öffentlichen Versteigerung ist derErlös nach aller Erfahrung niedriger als bei einem freien Verkauf.
Patchworkfamilien sind ein Booster für Erbengemeinschaften. Der Kreis der Familienmitglieder, die nach der gesetzlichen Erbfolge infrage kommen, oder per Testament zu Erben werden, steigt mit der Zahl der Kinder aus verschiedenen Verbindungen. (Lebenspartner sind keine gesetzlichen Erben).
Stirbt ein Mitglied einer Erbengemeinschaft, kann es vorkommen, dass an seine Stelle eine weitere Erbengemeinschaft tritt. Aus vier Erben können so sechs oder acht, oder neun Erbberechtigte werden. Das macht komplexe Verhandlungen noch komplizierter. Im Gesetz ist das Ende einer Erbengemeinschaft terminlich nicht vorgeschrieben. Die Aufteilung eines Nachlasses kann sich also jahrelang hinziehen. In diesem Zeitraum muss die Erbengemeinschaft den Nachlass selbst verwalten (eine weitere Herausforderung ) oder muss sich auf eine Person einigen, die diese Aufgabe übernimmt.
Lösungsweg Vermächtnis
Die Anwälte schlagen als Königsweg vor, Erbengemeinschaften zu vermeiden.
Eine Möglichkeit ist folgende Lösung: Der Erblasser erstellt ein Testament, damit die gesetzliche Erbfolge nicht greift. Er legt darin handschriftlich fest, wer sein alleiniger Erbe sein wird. Die anderen Erbberechtigten kann er zu Vermächtnisnehmern machen.
Wer Vermächtnis hört, denkt an Schmuckstücke, Boote oder einen der inzwischen seltenen 500-Euro-Scheinen als Geldzuwendung. Doch das Potential von Vermächtnissen ist viel größer als die Verteilung von Liebhaberstücken. Ein Vermächtnis kann so hoch sein wie der Pflichtteil, der einem Nachkommen zusteht, oder höher.
Der Erbe ist allerdings verpflichtet, die Vermächtnisse zu erfüllen. Auch für ein Vermächtnis muss Erbschaftssteuer bezahlt werden minus des persönlichen Freibetrags. Die Steuer ist normalerweise sofort fällig, selbst wenn das Vermächtnis noch nicht erfüllt wurde. Stichtag ist der Todestag des Erblassers.
Es gibt aber Vermächtnisse die erst später zu erfüllen sind und dann auch erst später versteuert werden müssen. Durch seine Flexibilität ist das Vermächtnis auch das richtige Instrument, um die Erbschaftsteuer möglichst gering zu halten.
Lösungsweg Testamentsvollstrecker
Eine andere Lösung ist die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers/streckerin. Er/ Sie hat die Aufgabe, den Nachlass so zu verteilen wie es dem Willen des Erblassers entspricht. Die Vorstellungen der Erben sind nicht relevant.
Eine Testamentsvollstreckung passt, wenn es sich um ein umfangreicheres Erbe handelt. Gewerbliche Testamentsvollstrecker sind teuer. Es ist sinnvoll, sich anwaltlich oder von der Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstrecker (AGT) ,Bonn, beraten zu lassen, welche Personen für das Amt qualifiziert und für den speziellen Erbfall geeignet sind.