Dieses Buch ist ein sachlicher und zugleich emotionaler Ratgeber für Erblasser und Erben bei der Auswahl eines seriösen Testamentvollstreckers. Ins Rampenlicht treten auch prominente Reiche mit ganz speziellen Erfahrungen in Erbstreitereien, Steuer- und Nachfolgeproblemen bei bekannten Familienunternehmen.
Denk‘ ans Erbe, Schatz veröffentlicht den Inhalt in mehreren Fortsetzungen.
Vorwort: Über den Tod hinaus…
Die Fähigkeit, große und weniger große Nachlässe als Testamentsvollstrecker zu managen, trauen sich viele Menschen zu. Was reizt? „Das Geld“, meinen die Erben, welche die Rechnung bezahlen müssen. Ohne Geld würde den Job keiner machen. „Es ist die Macht“, meint der Münchner Publizist Hans-Kaspar von Schönfels. Freundlicher formuliert: Es ist der Gestaltungswille.“
Folgt man der Statistik, sind die Nachlass-Manager eine kleine Minderheit. Jeder dritte volljährige Deutsche errichtet ein Testament. Nur zwei Prozent treffen in ihrem Letzten Willen eine Personalentscheidung für eine Fremdverwaltung des Erbes. Das Resultat sind 10.000 Testamentsvollstreckungen im Jahr.
Erbschaftsrekorde
Solche Angaben werden der großen Bedeutung dieser Dienstleistung nicht gerecht. Bei umfangreichen Vermögen, zumal wenn eine Firma dazu gehört, sind Testamentsvollstrecker das Mittel der Wahl. Ihr Einfluss wird weiter steigen. Die größte Erbschaftswelle der Geschichte steht bevor. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Altersvorsorge werden in Deutschland 3,1 Billionen Euro in diesem Jahrzehnt an Erben weitergegeben. Das sind unglaubliche 310 Milliarden Euro pro Jahr.
Auf den Generationenübergang entfallen 210 Milliarden Euro – so viel wie noch nie. Auch bei der Übergabe von Firmen an die nächste Generation rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mit Rekordzahlen.
Testamentsvollstreckungen haben viele Facetten. Wenn sie nur für eine kurze Periode vorgesehen sind, heißen sie Abwicklungstestamentsvollstreckung. Das ist die konfliktfreiere Variante. Allerdings können die mustergültigsten Vorkehrungen auch bei einem übersehbaren Zeitraum ein Restrisiko irrational reagierender Menschen nicht ausschließen. Dauertestamentsvollstreckungen werden für einen Zeitraum bis zu30 Jahren angeordnet, was häufig einer Entmündigung der Erbengleichkommt. Beispiele sind der Krupp Konzern, das Verlagshaus Axel Springer und das Göttinger Unternehmen Sartorius. Mit geschickte Formulierungen kann sich eine Fremdverwaltung sogar über ein Jahrhundert hinziehen. Dafür steht das Haus Hohenzollern. Nach eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) dauert die Testamentsvollstreckung bis zum Tod eines 1948 geborenen Nachkommen des letzten Kaisers.
Die Streitlust der Erben steigt nach allen Erfahrungen analog zu der Dauer einer Testamentsvollstreckung: beim Kammergericht Berlin haben die Juristen des höchsten deutschen Adelsgeschlechts eine Dauerkarte.
Hohenzollern, Krupp, Springer, aktuell auch Aldi. Das sind große Mandate und bekannte Namen. Die Mehrzahl der anonym bleibenden Testamentsvollstrecker erfüllt die vorgegebenen Aufgaben geräuschlos, friedlich und für die meisten Beteiligten zufriedenstellend. Häufig übernimmt ein Familienmitglied das Amt, zahlt die Erbschaftsteuer, verkauft die Eigentumswohnung und verteilt den Erlös aus der Immobilie plus Silberbesteck plus Bilder und Bücher an die Erben und Vermächtnisnehmer. Warum schreibe ich kein Buch über diese namenlosen Heldinnen und Helden der Vermächtnis- und Vermögensverteilung?
Das Leben schreibt die besten Geschichten
Es ist dieselbe Entscheidung, wie sie Zeitungs- und Fernsehredakteure täglich treffen. Schlagzeilen macht nicht das Gewöhnliche, sondern das Außergewöhnliche. Bad news are good news, weiß der Brite. Der Tatort wäre keine Lieblingssendung der Deutschen, wenn es Sonntagabends nicht um Morde, sondern um gute Taten ginge.
Meine Texte sind Nahaufnahmen von Alphatieren, Durchsetzern, Rationalisten, Arbeitsbienen, Helfern, Beschützern und Betrügern. Es menschelt in jedem Kapitel. Ich bin überzeugt von der einprägsamen Wirkung realen Geschehens.
Soweit es mir möglich war, habe ich Namen genannt. Leider musste ich aus Rücksicht auf die Datenschutzbestimmungen bei einigen Beispielen den Ort und die Personendaten weglassen. Die Fälle sind trotzdem spannend.
Die Lektüre von erlebten Geschichten entspricht auch einer Empfehlung des einflussreichen englischen Wirtschaftsmagazins „The Ecomonist“. Der Rat der internationalen Redaktion lautet: Wer im Beruf sehr oft wichtige Entscheidungen treffen muss, sollte weniger Berichte und Analysen lesen, dafür mehr Romane. Die Begründung lautet: Schlechte Zahlen ließen sich leichter korrigieren als zum Beispiel falsche Personenentscheidungen auf Grund mangelnder Erfahrung.
Streit bei jeder fünften Erbschaft
Die Regelung von Erbschaften und die Formulierung von Testamenten erfordert eine Vielzahl von präzisen Entscheidungen. Es ist erstaunlich, wie häufig vermeidbare Torheiten bei einer so wichtigen Angelegenheit wie dem Vererben und dem Erben gemacht werden. In jedem fünften Fall gibt es Streit um das Erbe. So lautet das erschreckende Ergebnis einer gemeinsamen Recherche der Quirin Privatbank und des englischen Marktforschungsinstituts YouGov nach der Auswertung von 7432 Online-Interviews.
Ein Garantieschein für posthumen Frieden — vor allem bei Patchworkfamilien, komplizierten gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen, Stiftungen oder wertvollen Kunstsammlungen —, sind Testamentsvollstreckungen nicht.
Der berühmte Maler Mark Rothko ernannte drei Testamentsvollstrecker — die ihn nach seinem Selbstmord gemeinsam hintergingen und kostbare Bilder hinter dem Rücken seiner Kinder verkauften bis sie sich ihr gerupftes Erbe über den Gerichtsweg erstritten. In Familien heilt häufig auch die Zeit, denn Blut ist bekanntlich dicker als Wasser. Martine Dornier-Tiefenthaler, die bekannteste deutsche Testamentsvollstreckerin, hat langjährige Erfahrung zu Streit und Versöhnung. Eines fernen Tages, so Frau Dornier, gewinne auch in erbittert verfeindeten Dynastien die Vernunft die Oberhand.
Ein Glück für jede Firma und Familie, wenn sie bis zum Friedensschluss nicht kaputt gestritten wurde.
1. Roman und Realität
Der lebensmüde Exzentriker Troy Phelan eröffnet mit einem vor Selbstmitleid triefenden Selbstgespräch den Erbschaftsthriller Das Testament des US-amerikanischen Autors und Strafverteidigers John Grisham.
„Das dürfte der letzte Tag sein, und wohl auch die letzte Stunde… Ich bin für das Jenseits bereit. Dort kann es nur besser sein als hier. Mein Vermögen beläuft sich auf mehr als elf Milliarden Dollar. Früher einmal besaß ich alles an Spielzeug, was das Leben schöner macht: Jachten, Privatjets, Blondinen, Wohnsitze in Europa, große Güter in Argentinien, eine Insel im Pazifik, reinrassige Rennpferde, Vollblüter, und sogar eine Eishockeymannschaft. Aber ich bin inzwischen zu alt für solches Spielzeug … Die Wurzel meines Elends ist das Geld.
Meine drei Ehefrauen haben mir sieben Kinder geboren, von denen sechs noch leben. Sie tun, was sie nur können, um mich zu quälen.
Sie alle sind heute hier zusammengekommen, weil ich bald sterben werde und es an der Zeit ist, das Geld zu verteilen. Wer kurz vor dem Sterben steht, sollte nicht hassen, aber ich kann es nicht ändern. Sie sind ein elender Haufen, alle miteinander. Die Mütter hassen mich und haben daher ihren Kindern beigebracht, dass sie mich ebenfalls hassen sollen. Sie sind Geier, die mit scharfen Krallen, spitzen Schnäbeln und gierigen Augen über mir kreisen, benommen von der Vorfreude auf unendlich viel Geld …
Ein Testament, das ich vor zwei Jahren verfaßt habe, sah als Universalerbin meine letzte Gespielin vor. Sie ist aber später ausgezogen, und das Testament ist in den Reißwolf gewandert. Ich habe meinen eigenen Reißwolf, in den ich all die früheren Testamente gesteckt habe.“
Abgestraft
Und das ist die Situation: Der Milliardär hat seine Erben zusammengetrommelt, um in ihrer Gegenwart sein definitiv letztes Testament zu unterschreiben. Mehrere Kameras zeichnen die Zeremonie auf. Neben den drei Exfrauen mit ihren sechs Kindern ist ein Dutzend Anwälte im Raum versammelt. Die Juristen wachen darüber, dass ihre Mandantinnen ausreichend bedacht werden.
Der 78-jährige Phelan hat zusätzlich eine Handvoll Psychiater eingeladen. Sie sollen ihm vor dieser Öffentlichkeit bescheinigen, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein. Sein Plan geht auf. Die Experten machen mit ihm einige Tests, um sein Erinnerungsvermögen und seine Schlagfertigkeit zu prüfen. Anschließend bezeugen sie einstimmig Phelans uneingeschränkte Testierfähigkeit. Danach ist der Milliardär bereit, das ihm vorgelegte Dokument zu unterzeichnen. Die Mühe, zuvor 90 Seiten Text durchzulesen, erspart er sich. Die Zusammenkunft ist beendet.
Wenige Minuten später sind Phelan, sein persönlicher Anwalt und dessen Sozius allein. Der Milliardär kramt in seiner Tasche. Er holt drei Bogen gelbes, beschriebenes Stempelpapier hervor und erklärt: „Das ist meine letztwillige Verfügung. Ein eigenständiges Testament, das ich Wort für Wort erst vor wenigen Stunden verfasst habe. Es trägt das heutige Datum und wird unter diesem Datum von mir unterzeichnet. Hiermit widerrufe ich alle früheren Testamente, einschließlich dessen, das ich vor weniger als fünf Minuten unterzeichnet habe.“ Troy Phelan schiebt die Bögen über den Tisch seinem Anwalt zu, erhebt sich aus seinem Rollstuhl, läuft mit erstaunlicher Behändigkeit zu einer Schiebetür und stürzt sich aus dem 13. Stock in den Tod.
Überraschende Alleinerbin
Das ultimativ letzte Testament wird eröffnet. Eine uneheliche Tochter mit Namen Rachel Lane, Missionarin im brasilianischen Regenwald, ist die Alleinerbin des Milliardenvermögens. Die anderen Familienmitglieder erhalten nur ihren Pflichtteil und setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um das Testament anzufechten. Sie rekrutieren eine Schar von Anwälten, die für Stundenhonorare ab 600 Dollar und eine prozentuale Beteiligung am Nachlass zu rabiaten Methoden greifen. Ihr Argument lautet: Ein Familienvater, der ein grob pflichtwidriges Testament zulasten der eigenen Familie verfasse, könne nicht bei Verstand gewesen sein. Vergeblich. Ein Erblasser, dem wenige Minuten zuvor bescheinigt wurde, normal zu sein, kann nicht für unzurechnungsfähig erklärt werden. Das Testament ist gültig.
Suche nach der Erbin
Der Anwalt Nate O’Riley übernimmt die knifflige Aufgabe, die Erbin ausfindig zu machen. Auf seiner Reise durch Südamerika hat er erhebliche Schwieirigkeiten, aber am Ende Erfolg. Er trifft Rachel Lane, von Beruf Ärztin. Sie lebt bei einem Indianerstamm und wertschätzt viele Dinge mehr als Geld.
Die künftige Milliardärin stirbt kurz nach der Begegnung an Malaria und hinterlässt wie ihr Vater ein gültiges, beglaubigtes Testament. Es enthält die Entscheidung, eine Stiftung zu gründen, deren Erträge der Eingeborenenbevölkerung und der Verbreitung des Christentums zugutekommen sollen. Zum Treuhänder der Stiftung beruft die Erbin„meinen guten Freund Nate O’Riley“ und fährt fort: „Zugleich ernenne ich ihn zum Testamentsvollstrecker.“
Ein spannender, aber realitätsfremder Roman? Keineswegs. Ulrich Falk, Professor für Erbrecht an der Universität Mannheim, sieht Parallelen zwischen Grishams Geschichte und dem Zank um das Testament des reichen Frankfurter Bürgers Johann Friedrich Städel Anfang des 19. Jahrhunderts.
Städel verfügte ebenso wie die Romanheldin, dass mit seinem Vermögen eine Stiftung errichtet werden sollte. Die Möglichkeit war umstritten, denn diese Institution existierte zum Zeitpunkt des Todes noch nicht. Der Streit, ob es möglich ist, eine zu gründende Stiftung zur Erbin zu erklären, ging im Fall Städel über drei gerichtliche Instanzen. In der Gutachterschlacht gaben vier deutsche Universitäten ihr Votum ab. Es kam ein Vergleich zustande und die Stadt Frankfurt am Main bekam das bekannte Städel Museum.
Herz und Schmerz , Gift und Galle
Es gibt noch mehr Parallelen zwischen Roman und Alltagsleben. Die Konstellation reicher alter Mann, mehrere Ehen und Kinder aus verschiedenen Verbindungen bildet seit Jahrhunderten einen gefährlichen Cocktail für jahrelang verdeckt oder offen geführte Erbstreitigkeiten.
Auch der Versuch, den Erblasser für unzurechnungsfähig zu erklären, ist kein Autorengag. Das ist Gerichtsalltag. Bekommen streitlustige Nachkommen weniger vom Nachlass, als sie sich ausgemalt hatten, fechten sie das Testament an.
Erste Möglichkeit: Der Erblasser hat seinen Letzten Willen nicht eigenhändig errichtet. Zweite Möglichkeit: Er war testierunfähig. Eine dritte Möglichkeit ist die Irrtumsanfechtung („Wenn er nicht geirrt hätte, wäre ich bedacht worden …“). Alle drei Möglichkeiten hat Troy Phelan durch seine raffinierte Organisation mit Anwälten, Psychiatern und Kameras torpediert. Der Tipp, bei der Abfassung des eigenen Testaments eine gewisse Öffentlichkeit mit Verwandten herzustellen, steht bei Erbrechtlern hoch im Kurs.
Der Milliardär wollte vor allem seinen Exfrauen und ihrem „habgierigen Nachwuchs“ eine Lektion erteilen. Das ist ein Motiv, das viele Testamente prägt: Es ist weniger wichtig, wer das Geld bekommt, Hauptsache X bekommt es nicht bzw. nur den Pflichtteil. Bei der Notarausbildung gehört es zu den Standardfällen, wie geschiedene Ehepartner ihr Testament gestalten können, damit der oder die verhasste Ex bei „unvorhergesehener Versterbensreihenfolge“ kein Geld erhält. Die Reaktion der Erbin war die große Unbekannte in Phelans Nachlasspoker. Er konnte davon ausgehen, dass sich eine Missionarin nicht sofort mit seinem Geld ins süße Leben von Rio stürzen würde. Seine Vermutung war richtig. Rechel Lane bleibt sich selbst treu. Sie legt fest, dass mit dem ererbten Vermögen eine Stiftung für gute Werke gegründet werden soll.
Stiftungen schmeicheln
Der Roman spielt Ende der 1990er Jahre. Heute liegt Stiften im Trend. „Der Gedanke“, so der Hamburger Testamentsvollstrecker und Rechtsanwalt Andreas Ackermann, „eine Stiftung zu errichten und ihr den eigenen Namen zu geben oder bei kleineren Vermögen eine Zustiftung zu machen, gewinnt immer mehr Freunde. Früher bekamen die christlichen Kirchen das Geld.“
Stiftungen brauchen Vorstände, um handlungsfähig zu sein. Was für eine Person ist dieser „gute Freund“ Nate O’Riley, in den die Erbin ihr Vertrauen setzt? Im Roman ist der ehemalige Staranwalt ein Alkoholiker, der nach einer erfolgreichen Entziehungskur von seinen Exkollegen eine neue Chance bekommt. Er startet eine aufregende Suchaktion nach der Erbin. Er bedrängt sie sanft und erfolgreich, ihre anfängliche Ablehnung in ein positives Votum umzuwandeln und das Erbe anzunehmen. In einem Filmtrailer würde die Kehrtwendung so formuliert: Nate O’Riley vollbrachte das Wunder, der dekadenten Sippe die Milliarden zu entreißen und wohltätigen Zwecken zuzuführen. Bei meinen Recherchen habe ich keinen Alkoholiker getroffen, aber ich habe gespürt, dass Testamentsvollstrecker Macht ausüben können. Im Guten wie im Bösen.
Fortsetzung folgt
Die Wahl, ob man eine Testamentsvollstreckung in sein Testament aufnimmt oder nicht, hängt stark von der individuellen Situation ab. Manchmal kann es helfen, Streitigkeiten unter den Erben zu vermeiden, da der Testamentsvollstrecker dafür sorgt, dass alles nach dem Willen des Verstorbenen abläuft. Andererseits kann es auch zusätzliche Kosten verursachen. Daher sollte man sich gut überlegen, ob es in der eigenen Situation sinnvoll ist.