Kapitel III des Buches: Testamentsvollstrecker — Die stille Macht
Richard Rachlitz von der Bundesnotarkammer in Berlin, kennt die Nöte: „Es ist schwer, einen Testamentsvollstrecker zu finden.“
Knappheit? Das klingt kurios, nachdem Juristen, Steuer- und Bank-berater zu Hunderten in die Veranstaltungen für zertifizierte Testa-mentsvollstrecker drängen. Haben sie die Qualifikation erst einmal in der Tasche, möchten sie umgehend geschäftsmäßig tätig werden. Hinzukommen anderweitig Berufene, die sich für kompetent halten, den oft sehr lukrativen Job zu machen. Sie alle gehen aktiv auf Mandantenfang. Auf der Zeitachse sind Knappheit und Fülle kein Widerspruch. Erblasser, die mithilfe der Notarkammer einen Vermögensverwalter für ihren Nachlass suchen, haben in der Regel viele Lebensjahre vor sich.
Sie benötigen keine Helfer ad hoc. Sie fahnden nach einer Person, zu der sie heute Vertrauen fassen können und die in zehn und mehr Jahren noch kundig, zuverlässig, diplomatisch und gesund ist, um das verantwortungsvolle Amt zu übernehmen.
Unangenehmes Thema
Diese Kümmerer und Vorsorger könnten ihre Erbangelegenheiten eigentlich gelassen angehen. Jedermann hat das Recht, seinen designierten Testamentsvollstrecker eines Tages auszuwechseln oder auf einen Sekundanten nach dem Tod völlig zu verzichten. Aber wer tut das schon? Geräuschlos funktioniert ein Tausch oder sogar der Fortfall eines solchen Mandats nicht. Das Thema Testamentsvollstreckung war irgendwann bei Freunden zur Sprache gekommen. Es macht müde, sich wegen einer Änderung ihren fragenden Gesichtern zu stellen. Darum lässt man opportunistisch alles, wie es war.
Je höher die Hausnummer des Vermögens, je kleiner die Stadt, desto größer die Aufmerksamkeit.
Es gibt ein prominentes Beispiel für die mögliche Dramatik, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen. Die Szenen beiben bis heute in Erinnerung. Bertelsmann-Eigentümer Reinhard Mohn stellte am 1. Juli 1999 seinen Finanzvorstand Siegfried Luther als Mann seines Vertrauens der Öffentlichkeit vor. Einige Dutzend Journalisten waren zu dieser wichtigen Pressekonferenz in den Keller der Hauptverwaltung in Gütersloh eingeladen worden. Dort, wo die Ahnengalerien der Gründer untergebracht sind, sprach der große Mann der Stadt über den weniger großen, aber wichtigen Mann an seiner Seite.
Die weitreichende Entscheidung des damals 78-Jährigen Reinhard Mohn, den Bertelsmann-Finanzchef Luther zu seinem Testamentsvollstrecker zu machen, war lange gereift. Der Unternehmer hatte seinen 23 Jahre jüngeren Manager an den Fragen beteiligt, die ihn besonders bewegten.
Wie kann ich mein Erbe sichern? Wie kann ich verhindern, dass die Erbschaftsteuer meine Kinder zwingt, einen Teil der Firma zu verkaufen oder fremde Gesellschafter aufzunehmen?
Ein guter Diener seines Herrn
Die Vorbereitungen waren also wie eine Blaupause für kluges Verhalten eines Erblassers abgelaufen. Wann immer Mohn Überlegungen zur Nachfolgeregelung angestellt hatte, rief er Luther übers Haustelefon an oder schickte ihm eine kurze Notiz. Die beiden Männer tauschten sich oft mehrfach am Tag aus. Der Untergebene empfand es als Herausforderung, seinem Chef schnell zu antworten. Dieser redete häufig und offen über seinen Tod und über die notwendigen Regelungen für die Zeit danach. Es fiel die Entscheidung, eine Stiftung zu gründen. Die steuerrechtlichen Aspekte klärte Luther ebenso wie die rechtliche Positionierung der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft.
Wer ihre Stimmrechte besitzt, kontrolliert das Bertelsmann-Imperium, eines der größten internationalen Medienunternehmen. Die Sensation folgte im Oktober 2003. Reinhard Mohn entließ zu seinen Lebzeiten seinen designierten Testamentsvollstrecker im Stil eines Undercover-Ereignisses. Der Vorgang sei reine Privatsache, wehrte die Pressestelle alle Nachfrager ab.
Machtkampf in Gütersloh
Die ungewöhnliche Entmachtung war in Gütersloh wochenlang das Topstammtischgespräch. Es hieß, die zweite Ehefrau Elisabeth („Liz“) Mohn, ehemalige Telefonistin im Unternehmen ihres Mannes, habe die starke Position und die Vertrauensstellung Luthers gezielt unterminiert. Der Finanzstratege hatte sich als Interessenvertreter aller sechs Kinder von Reinhard Mohn definiert, dazu gehörten auch die drei Nachkommen aus dessen erster Ehe. Liz Mohn — so wurde an der Theke getuschelt — sah in Luther einen Konkurrenten ihrer eigenen Pläne, Tochter Brigitte und Sohn Christoph in den Vordergrund der Bertelsmann-Institutionen zu schieben. (Ihr drittes Kind kommt auf Grund gesundheitlicher Probleme für verantwortungsvolle Aufgaben nicht infrage.) Von einer veritablen Stammesfehde zu schreiben, wagten nur die deutschen Wirtschaftszeitungen.
Family first
Reinhard Mohn starb sechs Jahre später, am 3. Oktober 2009. Das Thema Testamentsvollstrecker wurde bis zu seinem Tod gegenüber der Öffentlichkeit nicht mehr erwähnt. Fakt ist, dass Liz Mohn und ihre beiden Kinder (Brigitte, Jahrgang 1964) und Christoph (Jahrgang 1965) in den wichtigen Gremien der Bertelsmann-Stiftung und des Unternehmens Sitz und Stimme haben. Das Medienhaus ist kein börsennotiertes Unternehmen, die rechtliche Konstruktion komplizierter als bei einer Aktiengesellschaft. Christoph Mohn ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der Bertelsmann SE & Co. KGaA, das ist die operative Gesellschaft. Die Namen seiner Schwester und seiner Mutter findet man ebenfalls in entscheidenen Gremium. Brigitte Mohn ist nicht nur Mitglied im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats. Am Wichtigsten: Die Familie dominiert die Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, welche die Stimmrechte in der Hauptversammlung des riesigen Medien- Konzerns (17,67 Euro Umsatz) ausübt. So viel geballte Mach in Familienhand ist selten!
Große persönliche Freiheit
Der Ex-Bertelsmann-Manager Luther hat seine Degradierung nie öffentlich kommentiert. Er beschwichtigte, sooft er um seine Meinung gebeten wurde: „Die Testamentsvollstreckung ist eine rein persönliche Sache.“ Mit dieser vor Diplomatie triefenden Aussage hatte der entlassene Ratgeber nicht die Klatschmäuler auf seiner Seite. Dafür aber den Bundesgerichtshof. In einer Grundsatzentscheidung vom 11. November 2004 bestätigte der BGH die Bedeutung der weichen Faktoren. Ein Erblasser mache nicht nur aus rationalen Gründen eine bestimmte Person zum Testamentsvollstrecker. Er könne seine Wahl auch nach persönlichen Vorlieben treffen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe fällte ein vergleichbares Urteil, nämlich pro persönliche Freiheit und contra das ausschließlich vernünftig Nachvollziehbare.
Wer ‚kann‘ Testamentsvollstreckung?
Eine Pressekonferenz im Stile Reinhard Mohns einzuberufen, um über testamentarische Regelungen zu sprechen, ist außergewöhnlich. Aber für jeden, der ein Geld- und Immobilienvermögen oder sogar ein Unternehmen zu vererben hat, ist die Wahl eines Testamentsvollstreckers eine außerordentlich wichtige Angelegenheit. Mag das Vermögen viel bescheidener sein als bei Bertelsmann, die bisweilen monate- oft jahrelangen Überlegungen und Beobachtungen sind bei Mittelständlern oder Privatleuten vergleichbar diffizil.
Eine Sichtung des eigenen Bekanntenkreises ergibt sich zwanglos. Man trifft Freunde in schöner Regelmäßigkeit auf dem Golfplatz, vielleicht mittwochs bei Rotary oder zweimal im Monat bei der Jagd. Eines Tages hat ein Erblasser die pragmatische Idee: Mensch, den könntest du mal fragen, ob…? Die Entscheidung für den Freund oder guten Bekannten (die Freundin, die gute Bekannte) liegt nahe, wenn die Person bereits im eigenen oder in einem fremden Beirat bzw. Aufsichtsrat sitzt. Das weist ihn/sie als Kenner(in) der wirtschaftlichen Problemstellungen aus, um die es in der nächsten Erbengeneration gehen könnte. Wenn die Profession Jura ist, um so besser
Das Alter ist ein wichtiges Auswahlkriterium
Professor Dr. Michael Hoffmann-Becking entspricht perfekt diesem Anforderungsprofil.
Er ist Grandseigneur der angesehenen Düsseldorfer Anwaltskanzlei Hengeler Mueller. Seine über viele Jahre herausgehobene Position und sein vertrauensvolles Verhältnis zu wichtigen Entscheidungsträgern an Rhein und Ruhr waren die idealen Prämissen für eine professionelle Nachlassbetreuung. Befreundete Familien fragten an, ob er für eine Testamentsvollstreckung zur Verfügung stünde. Seit seinem 75. Geburtstag ( 1918) ist die Ansage „nein“. Prof. Hoffmann-Becking schlägt die Annahme eines solchen Amtes mit dem Hinweis auf sein Alter grundsätzlich aus. Begründung: Eine Testamentsvollstreckung sei eine in die Zukunft gerichtete Aufgabe, die man nicht mehr im höheren Alter übernehmen sollte. Das trifft vor allem für eine Dauertestamentsvollstreckung zu, die in der Regel auf mehrere Jahre angelegt ist. Die Ordnung eines Nachlasses ist hingegen zeitlich begrenzt. Hier steht der Anwalt zu einer vor Jahren gegebenen Zusage, die er auch zurücknehmen könnte. Es kann immer etwas passieren. Daher ganz wichtig: Ein Ersatztestamentsvollstrecker wurde für diese Situation gemeinsam vom Erblasser und dem Rechtsprofessor ausgesucht.
Das ist ein wichtiges Kriterium. Erblasser sollten stets überlegen, ob das Alter passt, wenn sie einen Testamentsvollstrecker suchen. Häufig steht das gute Vertrauensverhältnis bei der Wahl des Nachlassverwalters zu stark im Vordergrund. Es erscheint alles viel unkomplizierter, wenn man sich bereits kennt. Kompliziert wird es später, wenn ein greiser Testamentsvollstrecker überfordert ist.
Kardinalfehler: Keinen Ersatz vorsehen
Die Erbauseinandersetzung im Hause Mast ist dafür ein warnendes Beispiel. Die Familie ist populär durch den Kräuterschnaps Jägermeister, der im niedersächsischen Wolfenbüttel hergestellt und abgefüllt wird. Dort befindet sich der Stammsitz der Firma Mast-Jägermeister SE. Der Unternehmer Günter Mast hatte seinen langjährigen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zum Testamentsvollstrecker ernannt. Beide Herren hatten ungefähr dasselbe Alter. Der grobe Fehler, der Mast unterlief. Ein Ersatztestamentsvollstrecker wurde von ihm nicht vorgesehen. Günter Mast starb am 28. Februar 2011 mit 84 Jahren. Seinem Wegbegleiter war klar, dass seine Witwe und seine drei erwachsenen Söhne aus seiner ersten Ehe keine konfliktlose Erbengemeinschaft abgeben würde. Der greise Steuerberater schlug das Amt aus, weil er fühlte, dass er ihm nicht gewachsen war.
Das Nachlassgericht entscheidet
Die Erben hätten sich auf einen Ersatzmann oder eine Ersatzfrau einigen können. Man muss kein Hellseher sein, um das Misslingen vorherzusagen. Das Nachlassgericht Wolfenbüttel mußte tätig werden und berief eine Testamentsvollstreckerin, die den Söhnen nicht passte. Nach kurzer Zeit prozessierte beinahe jeder mit jedem. Die Jägermeister-Mast Fehde ist kein Einzelfall. Nachlassgerichte sind oft gezwungen, einen Testamentsvollstrecker/in zu benennen. Es sei rotzdem sehr schwierig, so Hoffmann-Becking, bis sich ein älterer Freund bereit erkläre, einen jüngeren Anwalt aus der Kanzlei ins Vertrauen zu ziehen und als möglichen Nachlassverwalter zu akzeptieren.
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