Der Maler Pablo Picasso (1881 – 1973) vermied es, seinen Tod zum Thema zu machen. Die Verdrängung des eigenen Lebensendes ist eine Schwäche sehr vieler Menschen. Doch der atemberaubende Umfang seines Erbes ist singulär. Der 90-Jährige hinterließ nach seinem Tod am 8. April 1973 einen atemberaubenden Kunstschatz: 1.885 Gemälde, 1.228 Skulpturen, 7.089 Zeichnungen, 30 000 Grafiken, 150 Skizzenbücher, 3.222 keramische Arbeiten, Immobilien Wertpapiere, Bargeld, Gold – und eine sehr komplizierte Familiensituation. Vier Frauen und deren eheliche und uneheliche Nachkommen stellten an das Erbe höchst unterschiedliche Ansprüche. Ohne die Autorität Picassos zeigten sich versteckte Amimositäten, Verletzungen und Anrechte seiner ehemaligen Partnerinnen.
Der Maler hatte weder ein Testament gemacht noch einen Testamentsvollstrecker eingesetzt. Sein Rechtsanwalt Roland Dumas redete jahrelang vergeblich auf ihn ein, seinen letzten Willen zu formulieren. Der Künstler soll seinem Anwalt entgegnet haben, die Regelung seines Nachlasses werde so kompliziert sein, dass die Fantasie eines Juristen dafür nicht ausreiche. Wozu einen Testamentsvollstrecker ernennen, wenn seine Kompetenz im Chaos versinkt?
Geniale Entscheidung?
Die beiden Juristen Hans Flick und Christian von Oertzen, schon von Berufs wegen Befürworter klarer Verfügungen, verurteilten in einer FAZ-Zeitungsserie über berühmte Erbfälle die Chuzpe Picassos. Sie schließen sich der Meinung von Picassos Rechtsberater an: „dass geschiedene Erblasser mit ehelichen und unehelichen Kindern sowie Erblasser mit Kunst im Nachlass immer einer Vermögensnachfolgeplanung bedürfen und man es nicht auf die gesetzliche Erbfolge ankommen lassen sollte.“
Ein Tadel für den Jahrhundertkünstler! Oder hat Picasso besonderes Lob verdient? War seine Testamentsverweigerung einer seiner genialen Einfälle?
Zunächst war von Geneistreich allerdings nichts zu merken. Die uneinigen Lebensgefährtinnen des Malers ließen sich von 50 Anwälten beraten. Die geballte Juristenmacht bezog bis zum Friedensschluss circa 25 Millionen DM Honorar. Möglichkeiten, Prozesse zu führen, gab es reichlich. Strittig war zum Beispiel, ob die zum Nachlass zählenden Kunstgegenstände zum Gemeinschaftseigentum der Eheleute gehörten, oder Alleineigentum des Künstlers waren. Einigten sich die Erbinnen außergerichtlich oder einigten sie sich nicht? Das war das Risiko. Kein Außenstehender konnte das Happy End der Konflikte vorhersagen.
Dann die Überraschung: Die erbitterten Kontroversen zwischen seinen zahlreichen Erbinnen waren nach vier Jahren vorbei. Pragmatisch wurde ein Schlussstrich gezogen. Kein Erben-Powerplay, das sich bei hochkarätigen Vermögen und testamentarischen Festlegungen oft über ein Jahrzehnt hinzieht und die Gerichte beschäftigt.
Für die Beilegung der strittigen Punkte war es besonders wichtig, dass eine neutrale, unbestechliche Person das Nachlassverzeichnis erstellte. Maurice Rheims, Mitglied der Academie Francaise und in den 70er Jahren der bekannteste Auktionator Frankreichs, ließ jedes Kunstwerk inventarisieren und bewerten. Kein Erbin hätte es gewagt, seine Autorität anzuzweifeln.
Die Sisyphusarbeit von Monsieur Rheims dauerte bis Juli 1977. Danach gelang die Einigung sehr schnell. Es gab ja kein Testament, das eine frühere Partnerin bevorzugte und einer anderen das Gefühl gab, weniger bedacht, also weniger geliebt worden zu sein. Bereits im Herbst 1977 war das Erbe verteilt. Die Beteiligten einigten sich auf Quoten am Gesamterbe. Jacqueline Roque, die zweite Ehefrau, erhielt 30 Prozent des Nachlasses, die Mehrzahl der Kinder und Enkel je 10 Prozent. Ein Gesetz des französischen Kulturministers André Malraux, „la Loi Malraux“ aus dem Jahr 1968, hatte die Voraussetzung geschaffen, dass alle ihre Quote annehmen konnten. Die Nachkommen von anerkannten Künstlern haben in Frankreich die Möglichkeit, die Erbschaftssteuer in Naturalien zu bezahlen. Der französische Staat gründete mit diesen „Einkünften“ das Musée Picasso in Paris.
Kubistische Collage
Es traten im Laufe der Jahre immer wieder Menschen aus dem Umfeld des Malers auf, die glaubten, sie könnten nachträglich davon profitieren. 2014 tauchten 217 Zeichnungen aus der Schaffensperiode 1900 bis 1922 auf, die bis dahin niemand vermisst hatte. Ein Elektriker, der behauptete, die Werke für offene Handwerkerrechnungen bekommen zu haben, hob den über 60 Millionen teuren Schatz in seiner Garage auf und wandte sich nach der Verjährung wichtiger Fristen an Claude Picasso in Paris, um Echtheitszertifikate zu bekommen und die Blätter zu verkaufen. Die Polizei wurde vom Sohn Picassos verständigt. Es kam zum Prozess. Die Verteidiger der Betrüger versuchten vor Gericht, die Legitimität der zahlreichen Kinder-Erben infrage zu stellen. Die Beleidigungen schweißten die Familie enger zusammen. Jean Jacques Neuer, der Anwalt von Claude Picasso, gab zu Protokoll: „Dieser Prozess ist picassien, surrealistisch, unglaublich. Er hat der Welt den Beweis geliefert, dass die Picassos eine moderne Familie sind, mit mehreren Frauen, mehreren Kindern, auch ihren Streitereien. Eine Patchworkfamilie wie eine kubistische Collage, die zusammenhält, falls es notwendig ist.