Beim Kauf eines Rosenstraußes für das Grab meiner Schwester, bekomme ich im Friedhofs-Blumengeschäft als Zugabe ein Büchlein. Es ist etwa so groß wie die viereckigen Heftchen, welche Kinder im Bett oder im Auto lesen. Der Titel lautet: „Bestattungsknigge. Wie verhalte ich mich auf einer Beerdigung?“ In einem Kapitel geht es um „passende Kleidung“. Ich habe kein drängendes, aber hübsches Detail ausgesucht: Hut oder kein Hut? Das ist heute meine Frage.
Ich treffe mich mit der Hutmacherin , präzise der „Modistenmeisterin“ Alida Janina Buchböck in ihrem Geschäft in der Münchner Schraudolphstrasse, um meine Frage zu diskutieren: Ist es noch zeitgemäß, auf einer Beerdigung einen Hut zu tragen? Die Meisterprüfung hatte Alida vor knapp 25 Jahren bestanden. Sie hatte sich kurz danach selbständig gemacht und auf das Entwerfen von Hüten spezialisiert. Sie ist also Fachfrau für Kopfbedeckungs-Stilfragen.
Die junge Frau bietet mir einen ihrer drei grazilen Stühle an und setzt sich auf einen größeren Karton mir gegenüber. Unser Treffen findet an einem Montag Vormittag statt. Dann ist der Laden für Kundinnen und Kunden geschlossen. Unser Gespräch wird nicht gestört.
Erste Frage: Sind Hüte auf einer Beerdigung nur etwas für alte Damen? „Nein“, ist die prompte Antwort. Hüte seien keine Alters-, sondern eine Geschmacksfrage und eine Sache der Haarfrisur. Modische lange Haare werden am besten hochgesteckt.
Vorbild Prinzessin Kate
Auf meinem Laptop habe ich ein Video gespeichert von der Trauerfeier von Prinz Philipp im am 17. April 1922 auf Schloss Windsor. Schwiegertochter Kate trägt eine Covid-Schutzmaske und einen schwarzen Hut mit kleinem, hochgesteckten Schleier. Bei salopperen Anlässen wählt die Prinzessin häufig Hüte von der Größe eines Wagenrads, das auf einer Seite des Kopfes sitzt. Kate ist groß und hat ein schlankes, professionell geschminktes Gesicht, das zu solchen spektakulären Aufmchungen passt. Zu Alida kommen häufig Damen ins Geschäft, die den Wunsch haben, einen Hut anfertigen zu lassen, einen „wie Kate“.
Die Hutmacherin versucht ihren Kundinnen von diesem Vorbild abzuraten, weil ihre Persönlichkeit und ihre Umgebung völlig anders sind. Ein weiteres Hut-Idol ist die Schauspielerin Audrey Hepburn, deren apartes Aussehen ebenfalls schwer nachgeahmt werden kann. Alida: „Es ist ein großer Fehler, einen Hut aufzusetzen, der nicht mit der Persönlichkeit der Trägerin, sondern mit einem anderen Typ Frau harmoniert.“ Ich erfahre ihre Grundregel Nummer eins: Ein Hut darf nicht erschlagen.
Zweite Frage. Die Hutträgerinnen auf Beerdigungen kann man heute mit einer Hand abzählen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Hält das Frauen davon ab, einen Hut zu tragen?
Alidas lebhafte Antwort ist für mich unerwartet. Sie verteidigt nicht das Tragen von Hüten, sondern spricht ausführlich über die Freiheit, heute auf Beerdigungen das anziehen zu dürfen, was zur Verfügung steht und womit man sich wohlfühlt: Wörtlich: „Jeder darf das tragen, was er für richtig hält. Das war in meiner Kindheit ganz anders. Es gibt nur noch wenige Bestattungen in strengem Dunkel. Doch ebenso wie heute die Farbe schwarz kein Dogma mehr ist, gibt es Menschen, die gerne schwarz tragen, auch einen langen schwarzen Mantel und auch einen schwarzen Hut.“ Soll heißen: Die einen haben den Mut, in farbiger Alltagskleidung zur Beerdigung zu gehen. So normal sollte es auch sein, sich für einen Hut zu entscheiden.
Ein Hut schützt besser als ein Schirm
Fachfrau Alida arbeitet gerne auf Bestellung und sucht mit der Kundin das Modell und den Stoff gemeinsam aus, unabhängig von einem aktuellen Todesfall. Der Hut wird zu Hause aufbewahrt und wenn er kurzfristig gebraucht wird, keine Hektik. Wer nämlich einen schwarzen Hut im Schrank hat, der hat mit Sicherheit auch Mantel, Kostüm, Schuhe und passende Handtasche im Garderobenvorrat.
Natürlich hat sie auch Kreationen im Geschäft, die Beerdigungstauglich sind. Die Situation: „In zwei Tagen ist die Einäscherung, also brauche ich den Hut schon morgen“ bringt sie nicht aus der Ruhe.“ Eine Nachtschicht, also morgen. Auch in Hutabteilungen anderer Fachgeschäft sind Kurzfristlösungen kein unüberwindliches Problem.
Ich selbst hatte folgendes Erlebnis auf einer etwas längeren Sbahnfahrt. Mir gegenüber saß eine Dame, die offensichtlich zu einer Trauerfeier fuhr. Sie war schwarz angezogen und hatte einen größeren schwarzen Rucksack bei sich. Sie entnahm dem Gepäckstück nach einiger Zeit einen Hut, hielt ihn sorgfältig in der Hand und setzte ihn mit großer Selbstverständlichkeit auf. Ich war erstaunt, dass dieser größere Hut mit Krempe die Enge in der Tasche unbeschadet überstanden hatte. Beim nächsten Halt stieg die Dame aus und hinterließ bei mir das Gefühl, dass ein Hut viel robuster ein Knautschen überstehen kann als ich mir vorgestellt hatte.
Solche Vorurteile möchte die Hutmacherin gerne ausmerzen. Qualitätshüte sind keine zarten Gebilde. Sie trotzen schlechtem Wetter und halten auch Regen- und Schneeschauer aus. Alida: „Ein Hut auf dem Kopf ist ein besserer Schutz als ein Schirm.“
Und die Männer ?
Hut oder kein Hut ist überwiegend eine Altersfrage. Der Schutz gegen Wind und Wetter ist indes unstrittig.