The South Park Street Cemetery, Kalkutta: Das ist Kolonial-Geschichte wie unter einem Brennglas.
Die durchsetzungsstarke britische Ostindien-Kompanie (British East India Company) wählte 1690 die westbengalische Stadt Colcutta, heute Kolkata, deutsch Kalkutta, zu ihrem Verwaltungssitz. Die Siedlung an einem der Nebenarme des Ganges wurde später die Hauptstadt der Kolonie Britisch Indien. Soldaten, Verwaltungsbeamte und Honoratioren bekamen ihren eigenen Friedhof, den South Park Street Cemetery. Auch bekannt als “ Christian Burial Ground“.Titel und Namen auf den Grabsteinen lesen sich wie das who is who der Britischen Kolonialgesellschaft. Da steht „Surveyor General of India, Colonial administrator, army officer, diplomat“, oder „virtuous mother“. Hier liegen Vettern von Queen Victoria und der Sohn des englischen Dichters Charles Dickens, Walter Landor Dickens, Kadett in de East Indian Company. Oder der britische Armeeoffizier Colonel Robert Kyd (1746-1793) Gründer des „Indian Botanic Garden“ in Kalkutta.
Zwischen den tropischen Bäumen, deren Wurzelwerk kunstvoll die zusammengefallenen Steine umschlingt, ragen Grabplatten, Mausoleen und nachgebildete Pyramiden in die Luft. Auf diesem historischen Grund und Boden sind gotische, griechische, ägyptische, hinduistische und islamische Stile gemischt.
Der Verfall
Auf dem Friedhof wurden Engländer zwischen 1767 und 1830 beerdigt. In Indien war das Leben vor rund 250 Jahren von Hitze und Seuchen beeinträchtigt. Hier liegt niemand, der älter als fünfzig Jahre alt wurde. Viele Europäer und Inder starben an Cholera schon vor ihrem 30. Geburtstag.
Henry Louis Vivian Derozio (1809 – 1831) „teacher, poet“ – so die Grabinschrift – am einfkussreichen Hindu-College war ein viel beweintes Seuchen-Opfer. Derozio hatte in England studiert, war Gründer der einflußreichen „Young Bengal Movement“. Er lehrte die jungen Inder, englische Dichter nicht nur abzulehnen, sondern ihr Gedankengut in ihre Diskussionen aufzunehmen.
Nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft, 1947, erging es dem Friedhof wie den prunkvollen Verwaltungsbauten in der Innenstadt. Sie verfielen. Erst seit wenigen Jahren restaurieren die Inder die Baudenkmäler als Teil der eigenen Geschichte.
Der South Park Street Cemetery sollte gerodet werden und einem Kunstzentrum weichen. Das Gelände liegt günstig in der Innenstadt an der Geschäftsstrasse Park Street. Der Calcutta High Court stoppte die Pläne. Heute gehört der Friedhof zu den national erhaltenswerten Denkmälern. (Association for the Preservation of Historical Cemetries in India and the Christian Burial Board) .
Symbiose der Vergänglichkeit
Der Eintritt zu dem circa ein Quadratkilometer kleinen Gelände kostet wenige Rupien, also Pfennige. Es ist ein Platz der Ruhe und der Nachdenklichkeit. Hier liegen circa eintausend Engländer und Engländerinnen. Die Gräber sind kein trostloses Bild. Alte Steine und Inschriften, frische grüne Blätter, Moose und Äste bilden eine Symbiose der Vergänglichkeit, die ihren Schrecken verloren hat.