Für Deutschlands 6 860 Notare gehören Überstunden zum Arbeitsalltag. Viele Gesetzes-Berater schalten die Lichter in ihren Büros erst aus, wenn es draußen seit mehreren Stunden dunkel ist. „In der Corona-Pandemie haben sich viele Menschen verstärkt mit den Themen Testament und Vorsorgevollmachten beschäftigt“, erklärt Martin Thelen, Sprecher der Bundesnotarkammer in Berlin, den gesteigerten Bedarf an einschlägigen Rechtsgeschäften. Thelen: „Die Menschen hatten aufgrund des Lockdowns Zeit, sich um diese Dinge zu kümmern, die man sonst gerne vor sich herschiebt.“
Das lebhafte Echo in den Medien auf die gestiegene Nachfrage ist die logische Folge. In Zeitungen und Rundfunkbeiträgen klappert das Gespenst eines Todesfalls einschließlich Erbenkrieg so laut mit den Ketten wie nie zuvor. Stichworte wie Vorsorgevollmacht, Testamentgestaltung, Erben ohne Streit usw. dominieren die Ratgeberseiten und populärer Verbrauchersendungen.
Pulverfass Immobilie
Der Wunsch eines friedlichen Erbgangs bleibt häufig unerfüllt, insbesonders wenn es um Immobilien geht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gehören Grundstück, Eigentumswohnung oder ein Haus bei der Hälfte aller Erbfälle zum Nachlass. In den neuen Bundesländern sind es etwa ein Drittel.
2020 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – wurden 84,4 Millionen Euro in Deutschland vererbt oder verschenkt. Es waren tatsächlich 90,7 Millionen Euro, wovon jedoch Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden müssen. Die Summe bedeutet eine Steigerung um 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mit den stark steigenden Immobilienpreisen steigt der Wert der Erbschaften. Und das schon seit Jahren.
Wenn Immobilien an Geschwister vererbt werden, die eine Erbengemeinschaft bilden, ist das Konfliktpotential besonders hoch. Jeder Erbe hat eine andere Vorstellung wie mit der Immobilie umgegangen werden soll. Einer/eine möchte sofort verkaufen und den Erlös rasch aufteilen (Weiterer Streitpunkt: Von wem lassen wir die Immobilie bewerten?). Bruder oder Schwester möchten lieber die anderen Geschwister auszahlen und die Wohnung/das Haus selbst beziehen. Oder ist die Vermietung der Königsweg?
Die Neue Zürcher Zeitung widmete diesem brisanten Thema 2021 sogar eine Beitragsserie mit dem Titel; „Das geerbte Haus verkaufen – nur wie am besten?“ Ein Beitrag beginnt so: „Die Schafe stehen auf purem Gold. Die Nutztiere grasen in einer Zürcher Seegemeinde auf einer Wiese…“.Eine der Erbinnen ist nämlich Landwirtin. Der sachliche Artikel liest sich trotzdem wie ein unterhaltsamer Roman mit vielen, unerwarteten Wendungen. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der Steuern, die je nach der Entscheidung unerwartet hoch ausfallen können. Der Leser bekommt eine Ahnung wie kompliziert die Konstallationen sein können, wenn Immobilien vererbt werden. So viel als Warnung, Immobilien an mehrere Geschwister zu vererben, ohne vorher in einem Testament genaue Regelungen zu treffen, ist das Einfallstor für unliebsame Auseinandersetzungen.
Formulierungsfalle gemeinsames Testament
Das zweite brisante Thema, das vor allem Gerichte beschäftigt, ist die unkorrekte Abfassung eines gemeinsamen Testaments durch Ehepartner. Die Durchsicht höchstrichtlicher Entscheidungen gibt Hinweise, dass gut gemeint nicht mit gut gemacht gleichzusetzen ist. Der häufigste Fehler besteht darin, dass Eheleute Formulierungen verwenden die für sie selbst – weil sie die Verwandschaftsverhältnisse kennen – eindeutig sind. Objektiv sind sie es nicht. Es geht zum Beispiel im gemeinschaftlichen Testament um solche Unklarheiten wie das allgemeine Wort „Kinder“. Welche sind gemeint? oder Wer gehört im Testament zu den „gemeinschaftlichen Abkömmlingen“? oder Was bedeutet die Formulierung „gemeinsames Versterben“? Achtung! Das gemeinschaftliche Testament ist voller Fallen.
Die Notare werden weiterhin Überstunden machen müssen. Und testamentprofi wird 2022 der interessante Stoff nicht ausgehen.
(Quelle der Abbildungen: Fluctibus von Falk v. Schönfels)