In Zürich gibt es einen heftigen Streit um den richtigen Umgang mit den Friedhöfen der Stadt. Konkretes Beispiel für die Auseiandersetzung ist der Züricher Friedhof Sihlfeld. Die Stadt hat einen Eventmanager zur Entwicklung des Friedhofs eingesetzt. Die Neue Zürcher Zeitung zitiert, dass er den Kopf voller Ideen habe: Nachtlesungen bei der Blutbuche, Diskussionsrunden, Podien an denen das Publikum partizipieren soll, Bürgerforen zum Thema Erdbestattung mit dem eigenen Haustier, Velowege durch den Friedhof, Mitternachtsführungen mit der Taschenlampe, Ausstellungen zu den Berufen rund um den Friedhof. Für alle soll etwas dabei sein. Begründung: Die kulturellen Veranstaltungen sollen zur Beschäftigung mit dem im Alltag stark verdrängten Thema Tod anregen. Die Veranstaltungen sollen nicht zwischen den Gräbern stattfinden, sondern auf einem mittleren Teil des Friedhofs.
Die ehemalige Bundesrichterin Brigitte Pfiffner hält „die Umfunktionierung des Friedhofs in einen Eventpark für verfassungswidrig.“ Auch gegen das Picknicken neben einem Grab (was auf besagtem Friedhof keine Ausnahme ist ) verletze das Gefühl eines trauernden Menschen. Rechtlich ausgedrückt: „Es verletzt die Würde und die Persönlichkeitsrechte der Trauernden.“ Pfiffner: „Das Grundrecht auf ein schickliches Begräbnis, Totenruhe und Trauerschutz der Angehörigen ist in einem Friedhof höher zu gewichten als das Bedürfnis nach Picknicken, Velofahren, Joggen, Sonnenbaden, Kinderschnitzelbänken, Gruselkonzerten oder sexuellen Handlungen.“
Der Streit zwischen Friedhofsverwaltung und empörter Richterin ist noch lange nicht beigelegt. Es geht um eine grundsätzliches Thema, das sich vielen Friedhofsverwaltungen stellt, nachdem immer größere Flächen frei bleiben. Die Bestattungen in der Natur und platzsparende Urnengräber werden immer beliebter.
Ich stelle Ihnen heute einen traditionellen Friedhof vor, wo solche Themen wie in Zürich nicht aufkommen. Es ist der ungewöhnliche Friedhof der oberitalienischen Stadt Ferrara.
Hunderte Gräber reihen sich in den Kreuzgängen eines ehemaligen Ka rtäuserklosters aneinander. „Cimitero Monumentale“ („Ein monumentaler Friedhof“) schreibt der Stadtprospekt
Besucher, die nach Ferrara kommen, haben andere Sehenswürdigkeiten im Kopf: die Altstadt, Weltkulturerbe der UNESCO, die mächtige Wasserburg „Castello Estense“, die große gotische Kathedrale, die viel gerühmten Renaissancehäuser oder den neun Kilometer langen Stadtwall. Doch wer den Friedhof auslässt, bertrügt sich um das Außergewöhnliche. Im Internet und als App ist er zu finden unter „Ferrara Charterhouse Monumentale Cimitero.“
Kreuzgänge als Grabstätten
Wenige Schritte entfernt von den bekannten touristischen Haltepunkten liegt die imposante, 1498 im Renaissancestil erbaute Klosterkirche San Christoforo alla Certosa. Sie ist der Ausgangspunkt der Kreuzgänge mit den erstaunlichen Gräbern.
Kaiser Napoleon erzwang die Säkularisierung von Kirche und Kloster. Neuer Eigentümer wurde die Stadt, die das riesige grüne Areal 1813 zu einem Friedhof umwidmete, zusammen mit einem älteren, abgeteilten jüdischen Friedhof. Er liegt im Schatten der dicht mit Bäumen bewachsenen Statmauer. Unter einer Grünfläche befinden sich die Gräber aus einer Zeit als Juden keinen eigenen Grabstein haben durften. Auf dem jüdischen Friedhof finden bis heute Beerdigungen statt.
Zu den Gräbern des christlichen Friedhofs, die architektonisch bemerkenswert sind, gehören klingende Namen wie „Tomb of Marquis Guido Villa Lancellotti“, „Funerary Monument to Giovanni Battista Costabili Containi“ oder “ Sepulchral monument to Alfred Lowell Putnam“. Hier liegen Maler, Dichter, Architekten, Politiker und unübersehbar viele Bürger Ferraras mit seinen aktuell 133 000 Einwohnern.
Bei einem ungefähr einstündigen Spaziergang durch die immer aufs Neue überaschenden Winkel, Abzweigungen und Blickerweiterungen verblüfft die Fülle an Blumen, Ornamenten, Vernachlässigungen und Zuwendungen.
Es ist still, doch die wuselige Stadt ist ganz nah.
Die Gestaltung der Gräber richtet sich nach keiner Verordnung. Hier ist Vielfalt erwünscht.
Ferrara ist eine überschaubare Stadt und der Friedhof, der innerhalb der Stadtmauer liegt, ist ohne Strapaze zu Fuß zu erreichen. Es gib auch einen ausgewiesenen Parkplatz.