Der Unternehner Christoph Schwingenstein spricht über das Erben und nachhaltige Investitionen. Der gebürtige Bayer, Jahrgang 1945, ist ein Enkel von August Schwingenstein, Gründer der Süddeutschen Zeitung. Gemeinsam mit seinen vier Geschwistern und anderen Eigentümern des Süddeutschen Verlags (Hauptprodukt SZ) verkaufte er 2007 seine ererbte Beteiligung. Der Unternehmer investiert sein Geld in Aktivitäten, von denen er nicht nur selbst, sondern außerdem die Gesellschaft und die Umwelt profitieren können. Es ist eine Richtungsentscheidung mit der Christoph Schwingenstein Pflicht und Neigung verbindet. Christoph Schwingenstein lebt in München.
Neukirchen: Ist das Erben gerecht oder ungerecht? Diese Frage wird in unserer Gesellschaft kontrovers diskutiert. Welche Meinung vertreten Sie?
Dr. Schwingenstein: Bei uns in Deutschland lässt es sich ganz gut erben, vor allem wenn man ein Unternehmen erbt und es mindestens zehn Jahre weiter betreibt. Dann entfällt die Erbschaftssteuer, weil bei einer anderen Regelung die ererbten Unternehmen oft zerstört würden. Es gibt andererseits auch gute Argumente gegen den Schutz von Erben. Ich kann Ihnen keine eindeutige Antwort geben. Sie hängt u.a. auch davon ab, was mit dem Erbe gemacht wird.
Neukirchen: Ihr Großvater August Schwingenstein gehörte 1945 zu den Gründern der Süddeutschen Zeitung. Sie sind gemeinsam mit Ihren vier Geschwistern ein Erbe der dritten Generation. Solange Ihr Vater noch lebte, gab es zunächst generöse Ausschüttungen. Sie konnten studieren was Sie wollten. Warum wählten Sie Archäologie, ein Fach weit weg von den Medien?
Dr. Schwingenstein: Diese Entscheidung traf ich 1964. Ich wählte Archäologie, weil ich eine Alternative zu meinem sehr bestimmenden Vater setzen wollte, der in der SZ verankert war.
Außerdem hatte ich keine Freude an der Verfasstheit von Nachkriegsdeutschland. Mein Widerwille wurde durch eine jüdische Freundin verstärkt. Ich wollte also sowohl die Vergangenheit wie auch Deutschland hinter mir lassen. Als Archäologe können Sie zum Beispiel in die Mittelmeerländer ausschweifen.
Neukirchen: Nachdem Ihr Vater gestorben war und damit seine Anteile an seine fünf Kinder übergingen, gaben Sie Ihren Beruf auf und beschlossen, ehrenamtlich zu arbeiten. Hatten sie ein schlechtes Gewissen, Geld zu erben, das ihre Vorfahren verdient haben? Oder ging es Ihnen um mehr Freiheit?
Dr. Schwingenstein: Nach meinem Studium und verschiedenen Tätigkeiten als Restaurator und Museumleiter war ich in der „Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ angestellt und redigierte Lexikonartikel. Diese Tätigkeit entsprach nicht meinen Träumen. Ich hatte einen kleinen Verlag für musikwissenschaftliche Literatur gegründet. Ich war wirtschaftlich unabhängig und konnte mich darum kümmern.
Neukirchen: Für einen unruhigen Geist ist das wohl kaum tagesfüllend.
Dr. Schwingenstein: Als die Situation eintrat, war ich immerhin 50 Jahre alt. Mein kleiner Verlag hat mir viel Spaß gemacht, aber meinem eigenen Anspruch genügte das nicht, damit haben Sie recht. Ich hatte mich in meinem bisherigen Leben um die Vergangenheit gekümmert, jetzt wollte ich mich mit der Zukunft beschäftigen.
Neukirchen: „Die Zukunft“ war für Sie bereits damals vorrangig der Schutz der Umwelt?
Dr. Schwingenstein: Ich hatte Zeit und war offen für Anregungen. Das ist eine sehr komfortable Voraussetzung für einen Neuanfang. Während eines Fluges traf ich Florian Langenscheidt: Er gab mir seine Karte, wir telefonierten. Das war der Beginn meines Engagements für den philanthropischen Bereich. Ich half zunächst mit in einem von Florian Langenscheidt ins Leben gerufenen Kinderhilfsverein. Außerdem wurde ich auf seine Anregung hin Mitglied im Kuratorium von WWF-Deutschland. Wenn Sie offen sind, ergibt sich eins aus dem anderen. Über eine Lebensversicherung kam ich zum ersten Mal mit der Idee des Sustainable Investment in Berührung.
Neukirchen: Sustainable Investment ist der Fachausdruck für die Einbeziehung von Umwelt-Unternehmensführungs- und sozialen Aspekten in nachhaltige Investitionsentscheidungen.
Dr. Schwingenstein: Die Versicherung hatte einen Nachhaltigkeitsbeirat, dem ich zehn Jahre angehörte. Es war für mich eine neue Welt. Offensichtlich war ich ziemlich geschickt beim Aushandeln meines Honorars, so dass mir weitere Jobs angedient wurden. Schließlich kam ich mit der Umweltakademie München in Kontakt, wo ich mich stark engagierte.
Neukirchen: Sie waren bei der Umweltakademie als Vorstandsmitglied für die nachhaltige Vermögensanlage zuständig. Ihre Gesprächspartner waren Banken, Versicherungen, Investmentfonds. Sind Sie Kapitalist oder Gutmensch? Oder stehen Sie auf dem Standpunkt, das sei kein Widerspruch?
Dr. Schwingenstein: Gutmensch ist ein grauenvolles Wort. Sind alle anderen Schlechtmenschen?
Aber zu Ihrer Frage: Das System, das in Deutschland vorliegt, ist kapitalistisch und hat Wohlstand generiert. Das Problem lautet: Wie können wir es gesellschaftlich verträglicher machen als es heute ist? Nehmen Sie die Bayerische Verfassung zur Hand. Dort steht: „Die Wirtschaft muss dem Gemeinwohl dienen.“
Als ich begann, mich darum zu kümmern, waren wir alle Pioniere auf diesem Gebiet. Ich war ein unglaublicher Ignorant auf diesem Feld, aber alle anderen waren nicht klüger. Es war neu, dass die Banken Philosophen und Theologen anstellten, um in die Investmentabteilungen alternative Gedanken hineinzutragen.
Neukirchen: Inzwischen sprechen sich sogar Hedge-Fonds- Manager für „ethisch-ökologische“ Geldanlagen aus.
Dr. Schwingenstein: Das stimmt, nahezu alle Banken und Finanzinstitute schreiben sich heute Sustainable Investments auf die Fahnen. Wenn Sie sich die Bilanzen ansehen, wieviel Anteile jedes Jahr nach den Nachhaltigkeits- Kriterien angelegt werden, dann sind es leider wenige Prozent.
Streit um den Verkauf der Süddeutschen Zeitung
Neukirchen: Zurück zur Süddeutschen. 2007 verkauften vier der fünf Eigentümerfamilien ihre Beteiligungen am Süddeutschen Verlag. Populär ausgedrückt heißt das: Sie haben Kasse gemacht und auf medienpolitischen Einfluss verzichtet. International läuft es heute umgekehrt: Reiche Investoren kaufen sich in Zeitungen ein.
Dr. Schwingenstein: Unternehmerisch gestalten war damals für den einzelnen Erben nicht mehr möglich. Inzwischen teilten sich an die zwanzig Paketchenbesitzer den Verlag und seine überregionale Tageszeitung SZ. Bei so vielen kleinen Eigentümern zerfleddert das Ganze und das vitale Interesse an der Gestaltung der Zeitung lässt nach.
Neukirchen: Die Verkaufsverhandlungen zogen sich sehr lange hin. „Es ist leichter eine Schokoladenfabrik zu verkaufen als einen Verlag“ schrieb eine Zeitung über das Hickhack.
Dr. Schwingenstein: Um diesen Verkauf gab es auch unter meinen Geschwistern ein Zerwürfnis. Ich hatte Anteile in Höhe von zwei Prozent und zunächst nicht die Absicht, diese zu verkaufen. Ich hatte mich aber um des lieben Friedens willen dem Verkaufspool angeschlossen. Was mich störte, war die Tatsache, dass die Verkaufswilligen den Anwälten überlassen wollten, den Käufer auszusuchen. Das kam für mich nicht infrage, die SZ ist ja keine Zahnpastafabrik. Mit meinen zwei Prozent konnte ich alle Anstrengungen der Anwälte blockieren, also Einfluss auf die Verkaufsentscheidung ausüben.
Neukirchen: Die Südwestdeutsche Medienholding, die bereits 20 Prozent am Süddeutschen Verlag besaß, bekam den Zuschlag.
Dr. Schwingenstein: Es war die heftigste Auseinandersetzung meines Lebens. Sie war aber wichtig. Die Südwestdeutsche Medienholding verlegt bundesweit mehrere Tageszeitungen und kennt das Geschäft sehr gut und ist damit erfolgreich. Es hat sich als die richtige Wahl erwiesen. Meine zwei Prozent wollte ich weiterhin behalten.
Ich habe schließlich doch verkauft und das Angebot angenommen, in den SZ Herausgeberbeirat einzutreten.
Neukirchen: Die Verkaufssumme ist ein gut gehütetes Geheimnis. Es wurde spekuliert, dass sie zwischen 750 Millionen Euro und eine Milliarde Euro lag. Sie und Ihre Geschwister bekamen davon 16,7 Prozent minus Erbschaftssteuer. Wie Sie einen Teil ihres Erbes angelegt haben, konnte man in der Zeitung lesen: „Enkel des SZ-Gründers baut Schweinedorf in Schnaitsee auf.“ Wieso liegen Ihnen glückliche Schweine am Herzen?
Kinderwunsch erfüllt: „Jetzt bin ich Bauer“
Dr. Schwingenstein: Ich bin kein gelernter Landwirt, aber ich hatte als Kind bei einem Onkel die Gelegenheit, meine Ferien auf einem Bauernhof zu verbringen. Ich habe Gras mit der Sense gemäht und Gänse gehütet. Ich wollte als Kind unbedingt Bauer werden. Jetzt bin ich es. Das Gehöft, nicht groß, 20 Hektar, habe ich mehr aus Zufall übernommen. Ich habe mich nach dem Kauf an die Familie Schweisfurth gewandt und um fachliche Unterstützung gebeten.
Neukirchen: Karl Ludwig Schweisfurth und seine beiden Söhne gründeten die Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Sie sind die Säulenheiligen einer nachhaltigen Landwirtschaft und die Vorreiter artgerechter Tierhaltung.
Dr. Schwingenstein: Natürlich kann und will ich als Landwirt heute ein Biolandwirt sein mit einer umweltverträglichen und artgerechten Schweinehaltung.
Neukirchen: Achten Sie als guter Kaufmann darauf, dass Ihre Investitionen rentabel sind? Auch die Schweinezucht?
Dr. Schwingenstein: Ich bin ein schlechter Kaufmann auf den Gebieten, die ich wertschätze. Mein Musikverlag hat kein Geld verdient, aber ich hatte Freude daran. Die Schweinehaltung war bisher ebenfalls keine Einnahmequelle, obwohl es jetzt besser wird.
Ich lebe von den langweiligsten Investitionen, die ich habe, nämlich Immobilien. Stolzer bin ich auf meine anderen Aktivitäten wie eine Dämmstofffabrik, die Hanf und Jute verarbeitet, oder meine Beteiligung an der Einzelhandelskette Bio Basic. Sie ist nicht rendite-, sondern wachstumsorientiert.
Neukirchen: Gibt es ein Bonbon, das Sie sich persönlich leisten? Aus Spaß an der Freude! Die Villa am Karibikstrand ist es offensichtlich nicht.
Dr. Schwingenstein: Ich habe Spaß an meiner ungewohnten, neuen Tätigkeit, der Landwirtschaft. Ich bin weiterhin ein leidenschaftlicher Fahrradfahrer und nehme seit sechs Jahren in Italien an den bekannten Eroica-Rennen teil. Das sind sehr sportliche Rennen mit nostalgischen Fahrrädern. Dort habe ich mir ein Häuschen gekauft. Als ich es gekauft hatte, dachte ich, eigentlich brauchte ich es nicht, ich kann auch ins Hotel gehen. Nun habe ich es. Und ich leiste mir zwei private Bibliotheken, obwohl man heute angeblich keine Bibliotheken mehr braucht.
Neukirchen: Nach Art Ihres Großvaters und Ihres Vaters gaben Sie frühzeitig einen Teil Ihres Erbes an Ihre drei Kinder weiter. Einerseits um Steuern zu sparen, andererseits um den Nachwuchs an einen verantwortlichen Umgang mit Geld zu gewöhnen. Ist das gelungen?
Dr. Schwingenstein: Mein jüngstes Kind war erst zwei Jahre alt, als ich meine drei Kinder an meinem Vermögen beteiligt habe. Für den Nachzügler verwalte ich den Anteil und lege das Geld konservativ an. Er ist heute 17 Jahre alt. Meine zwei schon lange erwachsenen Töchter gehen sehr vorsichtig mit dem Geld um.
Neukirchen: Sie haben viermal geheiratet: Meine, deine, unsere Kinder….das ist das Trauma von Testamentsvollstreckern und Anwälten. Haben Sie nach jeder Ehe ein neues Testament, einen neuen Erbvertrag formuliert?
Dr. Schwingenstein: Bei meiner ersten Eheschließung hatte ich kein Vermögen, da habe ich weder an ein Testament noch an einen Erbvertrag gedacht. Später hatte (und habe ich) einen sehr guten Anwalt, der mir meine Flausen austrieb, wenn ich sie hatte. Er hat mich auch sicherlich vor Fehlern auf diesem Gebiet bewahrt. Wenn es trotzdem Streit geben sollte, dann nach meinem Tod. Dann ist es nicht mehr mein Problem.